Lovara (
"Pferdehändler" – Ung. ló"Pferd" + Plural des Nomina-agentis-Suffixes /-ari/)
sind zu den
Vlach-Roma
zu rechnen; Vlach-Roma oder walachische
Roma deshalb, weil sie – wie andere Vlach-Roma-Gruppen auch – Jahrhunderte in
Moldawien und der Walachei – Teil des heutigen Rumäniens – als Sklaven bzw.
Leibeigene verbracht haben.
Geschichte
Die im heutigen Österreich lebenden Lovara sind
in zwei Migrationsschüben gekommen: die erste Gruppe in der zweiten Hälfte
des 19. Jahrhunderts aus Ungarn und der Slowakei, die zweite während des
so genannten "Ungarnaufstands" 1956. Enge Verbindungen zu
Lovara-Gruppen in der Slowakei bestehen heute nicht
mehr, während die Kontakte nach Ungarn in erster Linie der 1956 Eingewanderten
aufgrund von verwandtschaftlichen Beziehungen z.T. noch intakt sind.
Die im 19. Jahrhundert eingewanderten Lovara
gingen im Raum des heutigen Nordburgenlandes bis zum Verbot ihren
Wanderberufen, hauptsächlich dem Pferdehandel, nach. Ab 1909 gingen Ämter und
Behörden mit extremer Härte gegen Roma-Gruppen vor. Entweder sollten sie zur
Ansiedlung gezwungen oder vertrieben werden, wobei beide Vorgehensweisen auf
gesetzlicher Basis standen. Um sie am Weiterwandern zu hindern, wurden ihnen in
allen Komitaten die Zugtiere und Wagen abgenommen. Pferde und Esel durften sie
nur mehr mit polizeilicher Erlaubnis kaufen.
Nach dem Zerfall der österreich-ungarischen-Monarchie und der Entstehung
der Republik Österreich nach dem 1. Weltkrieg wurden die sich im Burgenland –
seit 1921 österreichisches Bundesland – und den angrenzenden Bundesländern
aufhaltenden Lovara zu österreichischen Roma. Als solche
waren sie der stetig zunehmenden Stigmatisierung und Diskriminierung in der
Zwischenkriegszeit, die im Genozid der Nazis ihren negativen Höhepunkt fand,
ausgesetzt.
Dem Genozid in den Konzentrationslagern ging die Zerstörung der
Siedlungen voraus. Einige Lovara-Familien waren Ende der
30er Jahre im Burgenland, einige in Wien ansässig. Von den alten Siedlungen in
Wien, wie dem Ringelseeplatz in Floridsdorf, der Hellerwiese und der
"Wankostätten" im 10. Bezirk, wo große Familien wohnten,
dienten die "Wankostätten" den Nazis als Sammellager vor der
Deportation. Die "Wankostätten" wurden nach dem Abtransport
zerstört, die anderen Plätze wurden nach Kriegsende ebenso geschliffen und
verbaut wie Häuser und Siedlungen im Nordburgenland.
Von den Überlebenden kehrten nur einige wenige in die nordburgenländischen Dörfer zurück. Die
überwiegende Mehrheit versuchte, in der Großstadt Fuß zu fassen und nahm z.T.
die alte berufliche Mobilität wieder auf: Einige verdienten ihren
Lebensunterhalt im Altwaren- und Teppichhandel. Ihre frühere, noch in der
Zwischenkriegszeit am häufigsten ausgeübte Tätigkeit, der Pferdehandel, war nur
noch im ersten Nachkriegsjahrzehnt von Bedeutung. Lovara
wurden von den Behörden der Zweiten Republik häufig nicht als KZ-Opfer
anerkannt. Man hat ihnen die anderen Internierten zugestandenen Hilfen und
Entschädigungen lange verweigert. Roma und Sinti hatten im Nachkriegsösterreich
keine Lobby, die für ihre Rechte eingetreten wäre.
Der Genozid durch das Nazi-Terror-Regime ist als Zäsur zu sehen: Die
Großfamilien und damit die tradierte Soziostruktur waren zerschlagen, die
Lovara haben seither keinen angestammten Siedlungsraum
mehr. Die Folgen davon sind ein bis heute verringerter Kontakt der Familien
untereinander sowie unterschiedliche Überlebensstrategien der Einzelfamilien im
Umfeld der Mehrheitskultur. Von den Betroffenen selbst wird betont, dass eine
größere Gruppe sich selten versammle, allenfalls bei Begräbnissen oder zu
Weihnachten; regelmäßige Kontakte bestehen nur zwischen wenigen Personen oder
Familien.
Neben dem Genozid sind, wie die Situation der 1956 eingewanderten Gruppe
zeigt, die geänderten Lebensbedingungen im hochindustrialisierten Europa der
zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts eine weitere Ursache für drastische
Veränderungen im Leben der österreichischen Lovara:
Nischenberufe – Pferde-, Teppich-, Altwarenhandel etc. – verlieren ihre
Bedeutung. Die ehemals für den Lebensunterhalt notwendige Mobilität wird zum
Handicap, was die dauerhafte Ansiedlung in Städten zur Folge hat.
Gegenwärtige Situation
Lovara leben heute vor allem in
Ostösterreich, in erster Linie in Wien. In Westösterreich sind sie nur
vereinzelt anzutreffen. Die bei den Ersteinwanderern vor dem Krieg noch intakte
Soziostruktur ist fast gänzlich verschwunden. Die
"Traditionspflege" und damit auch die Kontinuität in der
Verwendung des Romani differiert von Familie zu Familie. Bei allen haben sich
durch die Anpassung an die Mehrheitsgesellschaft Lebensstil und soziale
Situation jedoch so weit verändert, dass von der typischen Großfamilienstruktur
und der charakteristischen Familienbezogenheit der Roma nur noch Anklänge
vorhanden sind.
Daher wachsen Kinder und Jugendliche meist im mehrheitssprachlichen
Umfeld auf. Die Sprachtradierung ist folglich meist unterbrochen, und auch das
Interesse der Jugendlichen an der Kultur und Sprache von Eltern und Großeltern
ist nur in einem geringen Maß vorhanden.
Die Angehörigen beider Lovara-Gruppen sind in der
Regel sozial etabliert; d.h. sie nehmen am allgemeinen Wohlstand teil und
leben, wenn man ihre derzeitige Situation nach dem äußeren Anschein und aus dem
Blickwinkel des Durchschnittsösterreichers betrachtet, materiell abgesichert in
geordneten Verhältnissen.
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