Sowohl in Deutschland als auch in Österreich wurde bereits Mitte der
20er Jahre die Zentralisierung der polizeilichen
"Zigeunerbekämpfung" eingeleitet. Die Medien unterstützten
dieses Vorhaben, indem sie in immer reißerischer werdenden Artikeln eine
regelrechte "Zigeunerplage" heraufbeschworen.
Zunächst ging es darum, Roma und Sinti im Sinne der
"präventiven Verbrechensbekämpfung" zu erfassen,
identifizieren und registrieren (z.B. "Zigeunerkartothek-Burgenland").
Diese polizeilichen Erfassungen gaben die (Daten-)Basis für die spätere systematische NS-Verfolgung ab.
1936 wurde in Wien die
Zentralstelle zur Bekämpfung des
Zigeunerunwesens errichtet. In Deutschland schuf die Ernennung des
"Reichsführers SS" – Heinrich Himmler – zum
Chef der deutschen Polizei im Reichsministerium
des Inneren die institutionellen Voraussetzungen für ein
reichseinheitliches Vorgehen.
Roma und Sinti wurden also zunächst als polizei- und
ordnungspolitisches "Problem" betrachtet. Durch den immer
größer werdenden Einfluss der Wissenschaft gewann jedoch die rassistische
Komponente in der ideologischen Beurteilung der Roma und Sinti zunehmend an
Bedeutung. Die
"Nürnberger Rassengesetze" von 1935 gaben die
diesbezügliche Linie vor, indem sie Roma und Sinti als
"rassisch minderwertig" einstuften und ihnen die
Staatsbürgerschaft und damit die Staatsbürgerrechte entzogen. Die Aufgabe der
Wissenschaften bestand nun darin, nachträglich den Beweis für die Richtigkeit
dieses Dogmas zu erbringen und somit das NS-Regime pseudowissenschaftlich zu
legitimieren.
Nachdem der Arzt und Psychiater Robert Ritter 1936 die Leitung der
Rassenhygienischen und erbbiologischen
Forschungsstelle des Reichsgesundheitshauptamtes übernommen hatte,
avancierte er zur zentralen Figur der "Zigeunerforschung" im
NS-Staat. Sein eigentliches Ziel bestand darin, die Erblichkeit kriminellen und
"asozialen" Verhaltens nachzuweisen. Während der jüdischen
Bevölkerung die intellektuelle "Zersetzung" des
Staatsgefüges vorgeworfen wurde, erklärte man Roma und Sinti aufgrund ihrer
Rasse zu "kulturarmen" und geschichtslosen
"Primitiven", die den "gesunden Volkskörper
kriminell durchdringen" würden. Den Rassenhygienikern zufolge käme es
durch die "Vermischung" zur Herausbildung eines
"kriminellen Subproletariats", das die moralische Ordnung
gefährde.
Bereits 1935 wurde die Forderung erhoben, Roma und Sinti in
Arbeitslager zu internieren und Zwangssterilisierungen vorzunehmen. Ritters
Hauptaugenmerk richtete sich demzufolge auf die so genannten
"Zigeunermischlinge", wobei die Klassifizierung weiter
gefasst war als bei der jüdischen Bevölkerung. Als
"Zigeunermischling" galt man bereits, wenn einer der acht
Urgroßeltern "Zigeuner" war. Die Burgenland-Roma fielen in
diese Kategorie und wurden darüber hinaus von Ritter – unter Berufung auf die
Dissertation seines österreichischen Mitarbeiters Karl Moravek – als besonders
"minderwertig" eingestuft. Sie wurden als eine der ersten
Gruppen der systematischen Vernichtung preisgegeben.
Tobias Portschy wurde ab den späten 30er Jahren zur Zentralfigur der
nationalsozialistischen "Zigeunerverfolgung" im Burgenland.
Von 1935 bis zum "Anschluss" Österreichs an
NS-Deutschland (März 1938) war er illegaler
"Gauleiter" des Burgenlandes; nach der
Auflösung des Burgenlandes wurde er von Hitler zum
"stellvertretenden Gauleiter" der Steiermark
ernannt. In seiner 1938 veröffentlichten Denkschrift erhob er jene Forderungen,
die in den folgenden Jahren sukzessive umgesetzt werden sollten. Ihm war es ein
persönliches Anliegen, eine möglichst rasche
"Lösung des Zigeunerproblems" herbeizuführen.
Seine ersten Amtshandlungen bestanden darin, die Burgenland-Roma vom
Schulbesuch auszuschließen, ihnen die Bürgerrechte zu entziehen und sie zur
Zwangsarbeit zu verpflichten. In gleicher Weise wie Robert Ritter forderte auch
Portschy, Roma und Sinti nicht nur in die
"Asozialenverfolgung" mit einzubeziehen, sondern sie – auf
einer Stufe mit der jüdischen Bevölkerung – als Teil des
"Rassenproblems" zu betrachten. Auch er prangerte unentwegt
die
"Sitten- und Zügellosigkeit der Zigeuner" an und
wurde nicht müde zu betonen, dass sie
"von der Fortpflanzung auszuschließen" seien.
Ende 1938 kündigte Heinrich Himmler in einem Runderlass an,
"die Regelung der Zigeunerfrage aus dem Wesen der
Rasse" heraus vorzunehmen.
Die theoretischen Erörterungen nationalsozialistischer
Wissenschaftler und Politiker blieben jedoch bis 1942/43 widersprüchlich.
Einerseits lag aufgrund der indischen Herkunft der Roma und Sinti eine
"Arierzuordnung" relativ nahe, andererseits wollte man zur
Legitimierung der Verfolgungsmaßnahmen ihre "Artfremdheit"
beweisen. Die Verfolgung der Roma und Sinti verlief wesentlich unkoordinierter,
als dies bei der jüdischen Bevölkerung der Fall war. Einigen Roma und Sinti war
es zum Beispiel bis 1943 möglich, in der Wehrmacht zu dienen, obwohl dieselbe
Armee gleichzeitig am Völkermord an Roma und Sinti im Osten beteiligt war und
bereits Tausende in den Konzentrationslagern vernichtet
wurden. Diese Wehrmachtsangehörigen wurden dann direkt von der Front, zum Teil
mit Orden und Ehrenzeichen versehen, nach Auschwitz deportiert.
|